Sozialpsychatrie

Förderung unabhängiger Beschwerdemöglichkeiten in der Psychiatrie

(pm, dgsp). 30 Jahre nach der Psychiatrie-Enquète in Deutschland ist es für psychisch erkrankte Menschen immer noch schwierig, ihre Rechte als Patienten oder als Nutzer sozialpsychiatrischer Hilfen durchzusetzen. Bundesweit gilt zum Beispiel für Psychiatrie-Patienten ein eingeschränktes Recht zur Einsicht in ihre Krankenakten, das sonst allen Patienten gewährt wird. Dabei geht es hier ausschließlich um objektive Feststellungen über den Gesundheitszustand sowie Aufzeichnungen über Umstände und Verlauf der Behandlung.

Schließen psychisch erkrankte Menschen eine Patientenverfügung für den Fall einer Einweisung in eine psychiatrische Klinik ab, in dem sie selbst nicht zu einer Willens-Äußerung fähig sind, ist diese für die behandelnden Ärzte nicht bindend. Psychisch kranke Menschen können im Gegensatz zu somatisch erkrankten Patienten nur in wenigen Kliniken in Deutschland eine medikamentöse Behandlung ablehnen. Ein Verweis auf mangelnde momentane Einsichtsfähigkeit oder gar der Hinweis darauf, dass eine Ablehnung von Medikamenten die besondere Schwere der Erkrankung charakterisiert, ist typisch für die Verfahrensweise von Psychiatern, wenn es darum geht, eine Zwangsmedikation zu rechtfertigen.

Auch die Angehörigen werden oft eher als lästige Anhängsel denn als wichtige Partner im Gesundheitsprozess angesehen. Beschwerden von Angehörigen werden von Psychiatrie-Mitarbeitern als Zeichen von Überbehütung oder gar als krankheitsverursachend eingeschätzt, weshalb eine konstruktive Auseinandersetzung mit Beschwerden häufig vermieden wird. Für Mitarbeiter in psychiatrischen Einrichtungen ist es aufgrund des ökonomischen Drucks immer schwerer, Kritik an der Behandlung intern anzubringen. Sie benötigen unabhängige Unterstützung, um Missstände aufzudecken.

Zusätzlich zu einer bundesweiten Ungleichbehandlung kommen 17 unterschiedliche Landesgesetze zur Unterbringung psychisch Kranker und Landespsychiatriepläne. Diese differieren zum Teil erheblich in der behördlichen Zuständigkeit für eine Unterbringung oder in der Einschränkung der Persönlichkeitsrechte im Falle einer Unterbringung wie auch für die Möglichkeit der Beschwerde.

Psychiatrie-Erfahrene mischen sich ein
Im Laufe der letzten Jahre wurden Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige immer aktiver und mischten sich in die Entwicklung der psychiatrischen Behandlung ein. Mittlerweile ist der Gedanke des Trialogs, also des Austauschs zu psychiatrischen Themen von Betroffenen, Angehörigen und Profis auf gleicher Augenhöhe, aus der Sozialpsychiatrie nicht mehr wegzudenken. In der psychiatrischen Öffentlichkeit ist es selbstverständlich, vom psychisch Erkrankten als Experten in eigener Sache zu sprechen. Menschen mit einer psychischen Erkrankung erleben häufig gesunde und kranke Zustände in sich abwechselnden Phasen. So gelingt es ihnen, die Krankheitsphasen im Nachgang durchaus objektiv zu beurteilen.

Besonders ärgerlich ist es für Betroffene, wenn sie in der Kritik an ihrer Behandlung nicht ernst genommen werden. Dabei sind es in der Regel nicht die großen Rechtsverletzungen über die sie klagen, sondern eher das Zwischenmenschliche, an dem es hapert. Psychisch Kranke werden nicht "für voll genommen". Sie sind verrückt, nicht in der Lage, Situationen objektiv einzuschätzen, eingeschränkt in ihrer Wahrnehmung. Demgegenüber steht medizinisches oder auch sozialpsychiatrisches Fachpersonal, das per se die "richtige", dem Fall angemessene, Behandlungsweise kennt. Oder die Handlungsweise durch den Hinweis auf finanzielle Einschränkungen und dadurch bedingte Personalknappheit als alternativlos hinstellt. Und sie deshalb auch im Nachhinein nicht kritisch hinterfragt oder rechtfertigt. Nur sehr selten wird den Betroffenen im Nachgang erklärt, warum die ergriffene Zwangsmaßnahme in der Situation angemessen erschien und um Verständnis gebeten. Genau das aber wäre ein Schritt in Richtung Akzeptanz der Persönlichkeit des Betroffenen.

Empowerment durch die Unterstützung bei Beschwerden
Eine aktive Beteiligung der Patienten an ihrer Gesundung z. B. durch Selbsthilfegruppen wird sowohl vom Bundesgesundheitsministerium als auch von den Krankenkassen gefordert. Als Folge einer sozialpsychiatrischen Sichtweise auf den Umgang mit psychisch erkrankten Menschen und im Zuge der Einführung von Qualitätskriterien für Einrichtungen der (Sozial-)Psychiatrie wurde es unabdingbar, Beschwerdemöglichkeiten speziell für Anliegen aus der Psychiatrie einzurichten. Hier ist zu unterscheiden zwischen institutionellen und unabhängigen Beschwerdemöglichkeiten. In jeder Einrichtung gibt es ein hierarchisch geordnetes System, sich mit Beschwerden zu befassen und auseinanderzusetzen. Dabei wird mit den eingereichten Beschwerden unterschiedlich intensiv umgegangen.

Jedes Heim sollte nach § 10 Absatz 1 Heimgesetz einen Heimbeirat beherbergen, in dem sich Heim-Bewohner um die Anliegen der Mitbewohner kümmern. Nach den Landeskrankenhausgesetzen wirken Patientenfürsprecher (manchmal auch Ombudsleute genannt) für jedes Krankenhaus oder gemeinsam für mehrere Krankenhäuser in ehrenamtlicher Arbeit. Sie sind dabei mehr oder weniger unabhängig. Sie prüfen Anregungen und Beschwerden der Patienten und vertreten auf Wunsch deren Anliegen gegenüber dem Krankenhaus. Sie halten Sprechstunden in vom Krankenhaus zur Verfügung gestellten oder auch außerhalb der Klinik gelegenen geeigneten Räumlichkeiten ab, auf die die Patienten aufmerksam gemacht werden. Patientenfürsprecher können sich im Auftrag des Patienten jederzeit unmittelbar an die Krankenhausleitung, den Krankenhausträger und die zuständigen Behörden wenden. Da Patientenfürsprecher oft keine Erfahrung mit der Psychiatrie haben, wird ihnen mitunter ein Beschwerdebeirat zur Seite gestellt, der aus mehreren Fachleuten besteht, die sie bei Bedarf zu Rate ziehen können. PatientInnenstellen existieren in 14 Städten der Republik. Sie dienen als Beschwerde- und Beratungsstelle für Patienten aller Fachrichtungen und erstellen Informationsmaterialien über Patientenrechte und Dokumentationen zu eklatanten Fehlbehandlungen.

In manchen Bundesländern haben sich Ombudsstellen gebildet, die sich als Beschwerdeannahme- und Vermittlungsstelle für Psychiatrie-Erfahrene und ihre Angehörigen verstehen und in der Regel mindestens trialogisch besetzt sind. Die Mitglieder der Ombudsstellen arbeiten ehrenamtlich.

Unabhängige Beschwerdestellen für Psychiatrie gibt es noch nicht flächendeckend. Sie kommen auf sehr unterschiedliche Weise zustande. Zum einen werden sie von staatlicher Seite eingerichtet, zum anderen werden sie auf private Initiative von Betroffenen, Angehörigen, Mitarbeitern in der Psychiatrie oder sonstigen Berufsgruppen gegründet. Die zweite Alternative arbeitet in der Regel im Rahmen eines gemeinnützigen Vereins. Mitarbeiter der Beschwerdestellen hören sich die Beschwerden an, vermitteln zwischen den Parteien und leiten Beschwerden an Stellen weiter, die sich quasi von Amts wegen darum kümmern müssen. Sie nehmen die Anliegen der Betroffenen ernst, haben aber in der Regel so viel Erfahrung, dass sie zwischen berechtigten und unberechtigten Beschwerden unterscheiden können. Idealerweise sind sie trialogisch besetzt und diskutieren die Beschwerden auch aus dieser Perspektive.

Mit Beschwerden befasst sich auch die Besuchskommission
In den jeweiligen Landespsychiatrieplänen ist ihre Zusammensetzung sowie der Zuständigkeitsbereich geregelt. Meistens wird eine Besuchskommission von einem Facharzt geleitet. Weitere Mitglieder kommen aus dem Betroffenen-, Angehörigen- oder Mitarbeiterkreis. Die Besuchskommission kontrolliert selbstständig psychiatrische Kliniken oder andere psychiatrische Einrichtungen und befragt Patienten, Mitarbeiter oder Bewohner eigenständig. Sie ist in ihrem Auftreten unabhängig, durch die Regelung im Landespsychiatrieplan aber doch wiederum von der Landesregierung abhängig. Die Besuchskommissionen erstellen öffentlich zugängliche Berichte über ihre Tätigkeit.

Beschwerdekommissionen für Beschwerden aus der Psychiatrie gibt es nur wenige in Deutschland, so z.B. im Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Diese ist zusammengesetzt aus Mitgliedern des Gesundheits- und Krankenhausausschusses des Landschaftsverbandes und beschäftigt sich mit Beschwerden über Kliniken des Landschaftsverbandes und die Westfälischen Wohnverbünde und Pflegezentren.

Wichtig ist die Unterstützung von psychisch kranken Menschen in der Wahrung und Durchsetzung ihrer Rechte vor allem im Hinblick darauf, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung und einer daraus resultierenden Verletzlichkeit häufiger als somatisch erkrankte Menschen nicht in der Lage sind, ihre Interessen selbst angemessen zu vertreten. Sie benötigen deshalb eine stellvertretende Unterstützung, die vermittelnd in ihrem Sinne tätig wird. Gefragt sind hier insbesondere Personen, die sehr durchsetzungsfähig sind und gute Kenntnisse über das spezifische Psychiatrie-Recht und (sozial-)psychiatrische Einrichtungen haben. Sie sollten aber auch so viel Einfühlungsvermögen besitzen, dass die Betroffenen nicht in der Übernahme von Selbstverantwortung behindert werden.

Das DGSP-Projekt "Förderstelle für unabhängige Beschwerdestellen in der BRD"
Die DGSP beschäftigte sich in der Vergangenheit intensiv mit diesem Thema. Verbandsmitglieder versuchten die eingehenden Beschwerden Betroffener zufriedenstellend zu bearbeiten. Da die Zahl der Anfragen aber stetig zunahm, wurde klar, dass eine andere Herangehensweise gefunden werden musste. Nach längeren Vorüberlegungen und Diskussionen gemeinsam mit dem BPE und dem BApK über das Thema fand am 3. 12. 2001 ein erstes Treffen dazu in Kassel statt. Am 14./15.6. 2002 folgte im Nachgang die Tagung "Missstände abschaffen - weg mit der Angst. Patientenfürsprecher und Beschwerdesteller in der Diskussion" in Hannover statt. Veranstalter waren DGSP, BPE und BApK. Teilnehmer kamen überwiegend aus dem Kreis der Betroffenen. Hierbei wurde festgestellt, dass es wichtig wäre, wenn den Betroffenen der Zugang zu Informationen über Beschwerdemöglichkeiten (rechtliche Bedingungen, Art und Funktion, Adressen) erleichtert werden würde. Um diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen, stellte die DGSP 2004 einen Projektantrag bei der Aktion Mensch, der im Juni 2005 dann auch bewilligt wurde.

Im Rahmen des Projekts soll eine Bestandsaufnahme der zur Zeit bestehenden Beschwerdemöglichkeiten erarbeitet, eine Vernetzung dieser Beschwerdemöglichkeiten organisiert und befördert, ein Überblick über die Rechte von psychisch behinderten Menschen in Deutschland erstellt und Möglichkeiten der Informationshilfen für psychisch behinderte Menschen bewertet und gegebenenfalls weiterentwickelt werden. Die Gesamtlaufzeit des Projekts ist auf drei Jahre ausgelegt.

Um dieses Projekt im Sinne des trialogischen Gedankens ordentlich zu machen, wird er von einem Projektbeirat begleitet. DGSP, BPE und BApK haben Mitglieder berufen, die das Projekt sachkundig unterstützen.

Weitere Informationen, insbesondere die Dokumentation des ersten Workshops zum Projekt, eine Adressenliste von Beschwerdestellen und ein Internet-Forum, das von jedem genutzt werden kann, sind unter www.beschwerde-psychiatrie.de zu erhalten.

Kontaktadresse
Gudrun Uebele, DGSP e.V., Zeltinger Str. 9, 50969 Köln
Tel: 0221/511002, Fax: 0221/529903
gudrun.uebele@dgsp-ev.de
/www.psychiatrie.de/DGSP/

Quelle: Lichtblick-newsletter.de Nr. 190 vom 26.09.2006

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