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Angsterkrankungen: Zu selten erkannt, zu selten therapiert

Berlin (dpa) - Angsterkrankungen sind weit verbreitet, aber Hausärzte erkennen sie selten und therapieren sie noch seltener. Darauf wiesen Psychiater am Freitag in Berlin auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hin. Weil eine den normalen Lebensvollzug behindernde Angst auch auf genetischen oder stoffwechselbedingten Faktoren beruhen kann, würden in 60 Prozent der Fälle allein schon Medikamente helfen, sagte Reinhard Boerner von der Angstambulanz der Ludwig-Maximilians-Universität München. Boerner plädierte auf dem am Sonnabend zu Ende gehenden Kongress dafür, Angst reduzierende Medikamente häufiger als bisher einzusetzen. Diese müssten allerdings relativ lange eingenommen werden, innerhalb von zwölf Wochen würden die Symptome verschwinden. Fachärzte räumten auf dem von 1500 Experten besuchten Kongress allerdings ein, dass Angst schwer zu diagnostizieren sei, da sich ihre unterschied- lichen Formen oftmals überlappen und sich häufig mit Depressionen, Schlafstörungen und Panik vermischten. Mediziner unterscheiden bei Angststörungen die spezifische Phobie (die Angst vor engen und vollen Räumen beispielsweise), die soziale Phobie (das ist die Angst, sich zu blamieren), die Panik und die generalisierte Angst. Letztgenannte ist eine allgemeine, übertriebene Sorge (meist um das Wohlergeben von Familienmitgliedern), die die Betroffenen endlos grübeln lassen. Nach Angaben von Borwin Bandelow von der Klinik für Psychiatrie der Universität Göttingen sind im Laufe eines Jahres je nach spezifischer Angstform zwischen 3,1 (generalisierte Angst) und 8,8 Prozent (Phobie) der erwachsenen Bevölkerung betroffen. Im Laufe ihres Lebens sind gut ein Viertel der Bevölkerung mal kurz, mal länger mit einer oftmals unerklärlichen Angst oder Phobie belastet. "Traumatische Kindheitserlebnisse und falsche Erziehung werden heute nicht mehr allein als Ursache angesehen", sagte Bandelow. Eindeutig seien auch genetische und endokrinologische, also den Stoffwechsel betreffende Ursachen, mit beteiligt. Eine Angststörung zeige sich zudem oft nicht als solche. Eine Panik mit Herzrasen, Zittern und Schwitzen könne zunächst als Herzinfarkt missdeutet werden. (hk)

Quelle: Lichtblick-newsletter.de vom 24.11.2001

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